Marketing war und ist Storytelling. Dabei wird Content-Marketing-Technik Storytelling zwar inflationär propagiert, aber in der Praxis selten vernünftig und mit Herz und Verstand eingesetzt. Der Grund: Vor das Storytelling haben die Geschichtenerzähler die Story gesetzt.
Über den Autor
Stefan Golling, Köln. Seit 2011 Freelance Creative Director, freier Texter, Creative Consultant und Online-Marketing-Berater mit Kunden von Mittelstand bis S&P 500. Erfahrung: 1998 mit Radiowerbung in Stuttgart gestartet, 2000 als Junior-Werbetexter zu Publicis München, 2001 Counterpart Köln, 2002 als Copywriter zu Red Cell Düsseldorf (heißt heute Scholz & Friends), dort ab 2007 Creative Director.
Inhalt
- Storytelling: Definition aus meiner Sicht
- Ohne Storywriting kein Storytelling
- Studie: Profis sagen “Story first”
- So kommt die Story ins Storytelling
- Die Story muss der Zielgruppe schmecken
- Storytelling-Beispiele: Stellen wir uns eine Tee-Marke vor
- Wie ermittle ich die wirksamste Story?
- Und jetzt beginnt erst das Storytelling!
- Welches Storytelling in welchem Kanal?
- Vergiss Storytelling-Guidelines
- Storytelling im Marketing liebt Microtargeting
- Fazit: It’s the Story AND the Telling
Storytelling: Definition aus meiner Sicht
Storytelling ist Englisch und bedeutet: “Das Erzählen von Geschichten”, also den Vorgang des Geschichtenerzählens. Doch ohne Story kein Storytelling!
Storytelling im Marketing bedeutet vor allem, eine verkaufsfördernde Werbegeschichte zielgruppengerecht aufzubereiten.
Glaubt also nicht, das man jede Story gut erzählen kann. Zuerst muss die Story richtig gut sein! Und hier kommt Kreativität ins Spiel. Denn der Prozess des Geschichtenerzählens unterscheidet sich fundamental vom Prozess des Geschichtenerfindens.
Ohne Storywriting kein Storytelling
In der Werbung bzw. in Werbetexten erzählen wir in sehr sehr, kurzer Zeit eine komplexe Geschichte. Manchmal müssen 3 Wörter reichen, als Slogan / Claim, wofür eine Netflix-Serie ungefähr 30 Stunden Laufzeit braucht, überspitzt gesagt.
Die Agentur McCann hat sich 1912 das Motto gegeben: “Truth well told”, also Storytelling basierend auf der Wahrheit. Das ist eine sehr charmante Werbelüge, denn Werbung erzählt im besten Fall einen Ausschnitt der Wahrheit. Womit wir wieder bei der Story sind: Zuerst muss die Story stehen, und dann kannst du sie auf unterschiedliche Arten erzählen.
Studie: Profis sagen “Story first”
Eine Studie (World Media Awards 2019, Research Report: The future of global content-led marketing, Januar 2019, n=176 Leute aus Agenturen, Mediaagenturen, Medienhäusern) hat ermittelt, was die Top 5 für Content-First-Kampagnen sind:
- Die Story (genau, nicht das Storytelling)
- Authenzität (= fit to brand)
- Die kreative Ausführung (= Storytelling)
- Medienpartner / Kanal
- KPIs / Budget
Story schlägt Storytelling, simple as that.
So kommt die Story ins Storytelling
Also, wo liegt jetzt die Geschichte? Bevor du eine Story zum vertellen (platt, ne?) schreibst, musst du anders denken als Leute, die literarisch denken. Nämlich auf Basis einer Konzeption.
Literarische Story
Eine Welt erschaffen
Aus Inspiration
Für einen selbst
Ergebnisoffen
Selten Budget
Wenig Restriktionen
Werbliche Story
Eine Markenwelt erschaffen
Mit Briefing
Für einen Kunden
Hartes Controlling
Mit einem Budget
Mit vielen Restriktionen
Uff. Umdenken ist also angedacht. Im Content Marketing bzw. Online Marketing (oder in jeder Form der kommerziellen Kommunikation, auch bei CRM, Leadgenerierung oder Blogartikeln) erzählen wir Geschichten, die in eine existierende Markenwelt passen (oder eine Markenwelt aufbauen) und die sich an Zielgruppen richten. Der Kreativprozess ist also festgelegt! Und zwar …
Die Story muss der Zielgruppe schmecken
Marketing bzw. Werbung will immer etwas verkaufen, ein Produkt oder eine Dienstleistung. Also muss die Story die Zielgruppe in Kopf und/oder Herz treffen. Da ist auch schon das erste Problem. Universelle Stories sind schwer zu finden!
Storytelling-Beispiele: Stellen wir uns eine Tee-Marke vor
Du möchtest eine Story für, fiktiv gesprochen, Luxus-Beutel-Tee schreiben.
Du hast viele Möglichkeiten, um die Grundlage der Story zu definieren. Was ist das Spannende an diesem Tee?
- Handwerk: Handgepflückt an den Füßen des Himalaya – ist das die Story?
- Limitierung: Nur 1 kg dieses Tees wird jeden Tag geerntet
- Endorser: Dieser Tee wird im Königshaus XY serviert
- Preis-/Leistung: Andere Tees dieser Kategorie kosten das Doppelte
- Faktisch: Enthält 30 % mehr Antioxidantien als andere Tees
- Marke: Unsere Tee-Experten testen jedes Jahr 10.000 Tees und haben sich in diesen als Nr. 1 verliebt
Und so kann das in Mood-Bildern aussehen
Es ist immer der selbe Tee, aber jedes Bild erzählt schon eine eigene Geschichte. Ohne auch nur ein Wort. Alle Ansätze sind valide, vermutlich ist keiner perfekt. Daran sieht man auch, dass Storytelling an Grenzen stößt: Wenn du nur Gratis-Bilder verwenden willst, kannst du nicht jede Geschichte erzählen …
Diese möglichen negativen Fakten haben wir ausgeblendet:
- Wird mit dem Flugzeug eingeflogen
- Nicht Bio-zertifiziert
- Keine Garantie, dass keine Kinderarbeit mit im Spiel ist
- Wettbewerber bieten das selbe Produkt für weniger Geld
- Ist Beutel-Tee, den Tee-Nerds nicht ernst nehmen
An diesem kleinen Beispiel siehst du schon: Du musst erst ziemlich genau den Rahmen der Story abstecken.
- Framing: Den Fokus auf die positiven Botschaften lenken
- Positivbotschaften sammeln: Es gibt meistens mehrere
- Selektion: Das relevanteste Story-Fragment herausgreifen (das ist die wirklich schwierige Aufgabe!)
- Storytelling: Die Story erzählen
Wie ermittle ich die wirksamste Story?
Dafür gibt es 3 wesentliche Ansätze:
- Höre auf den Experten: Es gibt immer Erfahrungswerte, welche Stories bei welchen Zielgruppen und in welchem Marktsegment besonders gut ankommen.
- Teste deine Annahmen: Das kann man Online oder in Social Media machen, oder mit Marktforschung (z.B. Gruppendiskussionen, Tiefeninterviews etc.)
- Werte Daten aus: Wenn du viele Kundendaten zu Vorlieben hast (in unserem Beispiel: du bist Teeversender), kannst du aus deinen Daten herausfinden, welche Story bei welchen Zielgruppen zieht (haha, Wortspiel, Tee zieht immer). Dafür brauchst du dann (Big) Data Analytics oder Adleraugen.
- Es gibt immer mehrere gute Storys: Im obigen Beispiel hast du gesehen, dass es wahrscheinlich für jede Unterstory eine Zielgruppe gibt, die darauf anspringt. Du kannst also mehrere Storys erzählen.
Und jetzt beginnt erst das Storytelling!
Welche Story du erzählen kannst, hängt von deinen Medien und Kanälen ab. Wenn du eine reine Textanzeige hast (z.B. Google Ads Search), musst du die Limitationen des Mediums UND der Zielgruppenselektion berücksichtigen. Vor allem: Die Leute suchen ja aktiv nach Tee. Deshalb kannst du bei Google Ads den kompletten Storykatalog ausprobieren.
Übrigens: Das Packaging Design gehört auch schon zum Storytelling. Wenn du was mit Krönchen und Gold machst, willst du auf die Geltungskonsum-Zielgruppe hinaus, wenn du eher was mit Nature machst, sprichst du eher die Smart-Luxury-Klientel an. Da musst du vorher allerdings den Markt gut durchchecken - wer kauft überhaupt Luxustee? Da bist du bei einem höheren Haushaltsnetto, vermutlich ... also in Deutschland. In anderen Ländern ist das wieder anders. Vielleicht musst du das Packaging auch auf Länder gezielt abstimmen...
Welches Storytelling in welchem Kanal?
- Shop: Da kannst du viel erzählen. Das ist gut. Hat aber den Nachteil, dass du dich in der Story verzetteln kannst. Lege dir deshalb für jedes Produkt eine eigene Haupt-Story zurecht, auch zur Differenzierung zu den anderen Produkten der Marke. Mit Mitteln der Marktforschung findest du heraus, wie die Zielgruppe für dieses Produkt sein könnte, und zwar eingebunden in das komplette Bild der Marke. Ein Produktclaim ist ganz hilfreich. Du kannst auch eine Zielgruppendefinition oder Personas schreiben (in Bullet Points), um dann die Story zu schreiben. Du wirst relativ automatisch den Kundennutzen und die Kundenwünsche berücksichtigen. Außerdem kannst du die Story in Häppchen aufteilen: Die emotionalen Story-Teile an den Anfang, und für die Skeptiker das Faktische ganz am Ende (und am Anfang in den Bulletpoints … auch mit Bulletpoints kannst du Storytelling machen – musst du sogar manchmal, wenn du einen Amazon-Shop bestücken willst). Texte werden gern quer gelesen, also sorge mit Sublines für eine Struktur, die sich schnell erfassen lässt (und ticke mit den Sublines die Story-Punkte an).
- Social Media: Hier überfällst du die möglichen Kunden mit einer Story, auf die niemand gewartet hat. Also muss die Story gut sein. Im Trend sind reißerische Click-Bait-Teaser (“Du wirst nicht glauben, wie selten dieser Tee ist”), man kann aber auch anders anticken. Viel läuft aber auch über Empfehlermarketing, also gekauftes Influencer-Marketing: (“Schau mal, welchen Tee ich trinke, während ich in der Badewanne liege.”) Da erzählst du keine Story über das Produkt, da bettest du das Produkt in die “Story” der Influencerin ein. Im Grunde erzählst du nur die Story: Superbeliebte Menschen konsumieren das Produkt. Reicht oft! Gerade im Luxussegment.
- Video: Lerne von der griechischen bzw. römischen Tragödie bzw. Komödie (bzw. auch in der Renaissance), das funktioniert seit ein paar Tausend Jahren.
5 Akte sind für Erklärfilme kein schlechter Ansatz:
Im ersten Akt etablierst du die Szenerie (Problem und Leute vorstellen).
Im zweiten Akt verdichtet sich die Story.
Im dritten Akt ist der Höhepunkt (z.B. Produktvorstellung)
Im vierten Akt verhandelst du die Details / Vorteil des Produkte
Im fünften Akt wirkt die Lösung, alle sind happy.
Danach Vorhang zu, Applaus (na gut, nicht im Werbevideo).
Zumindest kann man nach diesem Muster immer schon mal loslegen. Geht aber nur, wenn du ein Problem hast, dass du verhandeln willst, bzw. wenn du eine Lösung verkaufen willst.
Luxustee löst kein Problem. Hier musst du als Story was Inspiratives schreiben und erzählen. Du kannst mit Protagonisten arbeiten, entweder in der Tee-Produktions-Welt (die Story einer Pflückerin, die den besten Tee der Welt pflückt) oder die Welt der Genusssituation (Willkommen auf dem Schloss). Diese Geschichten kannst du mit einer überraschenden Wendung brechen, sonst erzählst du eine lineare, langweilige Doku runter, die nicht hängebleibt. Ein bisschen Edgy muss es sein. Dafür braucht man Kreativität. Das ist eine Sache für Profis.
Vergiss Storytelling-Guidelines
Du solltest schon wissen, um was es beim Storytelling geht, und es schadet nicht, sich einzulesen. Aus einem überraschenden Grund (übrigens, das “überraschend” ist hier schon ein kommunikativer Trick: Ich bereite dein Hirn auf eine Überraschung vor, was manipulativer Nonsens ist, aber funktioniert). Die Überraschung: Kenne die Guidelines, damit du weißt, wie es alle die unkreativen Menschen machen. Nach Lehrbuch. Nach Standard. Der Effekt: Die Storys und das Storytelling werden inflationär identisch. Das kickt nicht. Wer will die 100.ste Heldengeschichte lesen? Heldengeschichten ziehen sowieso nur bei Einzelgängern, da ist kaum soziale Komponente drin. Du reitest mit einem Handbuch ins Verderben der unhinterfragten Annahmen! Mache es nicht!
Storytelling im Marketing liebt Microtargeting
Du kennst das doch auch aus dem Privatleben: Deinen Eltern erzählst du eine andere Urlaubsgeschichte als den guten Freunden (oder den Kollegen beim Mittagessen). Jeder macht Microtargeting. Am Ende sind beim Storytelling im Marketing vielleicht 3-5 Hauptstorys, die du dann immer wieder erzählst. Das findest du durch Trial & Error heraus. Also: testen, testen, testen (vielleicht mit einem MVP), und immer mehr über die Zielgruppen lernen.
Fazit: It’s the Story AND the Telling
- Story first, Storytelling second
- Viele Storys für viele Zielgruppen
- Kenne die Regeln um sie hinterfragen zu können
- Werde besser und besser
Lust auf ein paar Geschichten?
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