Veggie-„Wurst“-Namensverbot: Bumerang für die Fleischwirtschaft?

Das EU-Parlament hat verabschiedet: Veggie-Burger sollen nicht mehr Burger heißen dürfen, weil es sonst zu Verwechslungen mit dem „Original“ aus Fleisch kommen könnte.

Beschlossen wurde das am 08.10.2025 im Rahmen eines EU-typischen Komplettpakets mit dem schönen Namen „Strengthening of the position of farmers in the food supply chain„. Da drin stecken auch Optimierungen zu Kennzeichnungen wie „fair“, „gerecht“ und auch „kurze Lieferkette“, plus die sehr sinnvolle Anwendung von EU-Pestizidrückstandsgrenzwerten auf Importwaren.

Über dieses schöne Thema kann man wunderbar streiten, weil man sehr schnell eine der beiden möglichen Meinungen bilden kann, nämlich „super“ oder „blöd“.

Jedoch ist die Lage sehr kompliziert, und das könnte noch zu Bumerang-Effekten führen, über die die Fleischproduzenten höchst unglücklich sein werden. Und das aus vielen Gründen, Stichwort „Hybrid Meat“ – mit Folgen fürs Branding bzw. Produktmarketing.

Hintergrund: Um diese Begriffe geht es

Burger, Steak, Schnitzel: Diese Begriffe sollen „Fleisch-only“ Produkten vorbehalten sein. Das ist natürlich lustig, denn ein Schnitzel Wiener Art darf im fertigen Produkt in Deutschland aus 35 % Panade bestehen. Das ist also ein Hybrid-Produkt.

Wie auch immer, es gibt aktuell keine Liste mit den „verbotenen“ Produktnamen. Es wird zwar im Dokument in Amendment 113 Bezug auf Artikel 17 und vor allem im Anhang VI der Regulierung (EU) Nr. 1169/2011 genommen, aber dort gibt es keine abschließende Liste – kein Wunder, denn es gibt eine unüberschaubare Zahl an Namen für Fleisch- und Wurstprodukten (bspw. Frankfurter, Wiener Wurst, Wiener Würstchen, Lyoner, Pariser, Göttinger, Stadtwurst, Bierschinken, Kochsalami, Pfälzer Leberwurst, Weißwurst und Münchner Weißwurst, etc. pp).

Aber was ist mit der traditionellen „Erbswurst“ (die es zwar nicht mehr gibt, aber dennoch)? Und darf die Champignonleberwurst noch so heißen, obwohl sie nicht Fleisch pur ist?

Explizit im Parlamentsbeschluss genannt werden:

Die Liste ist nicht abschließend, das ist relativ schräg, da in der EU-Regulierungswelt sonst alles kleinteilig geregelt wird. Würde man jedoch alle Namen von Fleischprodukten in der EU auflisten, könnte man ein Dokument mit gefühlt 1.000 Seiten und mehr kommen. Das Problem: Dadurch, dass es keine klare Begriffsliste gibt, wird es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu Streit kommen.

Diese Begriffe oben sollen dann künftig für Schlachtfleisch vorbehalten sein. Sie sind damit tabu für Plant-based Produkte und auch für „Cell-cultured“ Produkte. Speziell Italien führt einen Kleinkrieg gegen „cultured meat“ aus der Petrischale oder dem 3D-Fleischdrucker.

Bumerang-Effekt incoming: Hybrid Meat

Die Fleischmenge könnte deutlich sinken, da weniger Schlachttiere gezüchtet werden – unter anderem aufgrund höherer Anforderungen an die Haltungsform, weswegen nicht wenige Landwirte aus der Tierzucht aussteigen (die nötigen Investitionen sind entweder zu hoch, oder der Platz gibt es nicht her, andere Ställe zu bauen).

Hier sehen wir die Zahlen von Eurostat: Die „Produktion“ von Schwein und Rind sinkt deutlich, nur Geflügel boomt leicht. Das sorgt auch dafür, das spüren wir alle, dass die Preise steigen.

Das passt aber, denn der Handel will ohnehin weniger Fleisch verkaufen.

Fleischproduzenten werden mit den sinkenden Fleischmengen umgehen müssen: Entweder man reduziert die Produktion, also Schrumpfkurs / Untergang, oder man geht zwei alternative Wege.

Die zwei Lösungen:

Insgesamt ist die Regelung sogar für die Fleischwirtschaft schlecht. Das wird ihr noch auffallen, und entweder auf die Barrikaden gehen oder intelligente Auswege finden. Wenn die Auswege sehr intelligent sind, könnte am Ende sogar das traditonelle Fleischprodukt der Verlierer sein.

Konkretes Beispiel: Frikadelle

In den deutschen Leitsätzen ist u.a. die Frikadelle definiert:

Synonyme: Frikadelle, Boulette, Bratklops, Fleischküchle, Fleischpflanze(r)l, Hackbraten
(Falscher Hase), Fleischkloss, Fleischklösschen, Fleischklops, Fleischknödel,
Fleischbällchen, Wellklops

Fleischanteil:

Und jetzt fangen die Probleme an:

Angreifbare Traditions-Namen

Wenn „Irreführung“ des Verbrauchers vermieden werden soll, dann könnte man versuchen, „traditionelle“ Begriffe rechtlich anzugreifen:

Wenn da mal eine klagefreudige NGO mal voll einsteigt, dann gibt’s Rambazamba.

Auswege: „Wiener Art“ etc. funktioniert immer

Was tun, wenn man sein Produkt nicht mehr „Schnitzel“ nennen darf? Man kennt es von vielen Lebensmitteln, die aus verschiedenen Gründen „fake“ sind: Begriffe, die eine Anlehung erlauben.

Hintergrund: Jedes EU-Land hat eigene Vorschriften bzw. „Lebensmittelbücher“ bzw. Leitsätze

Was ist Wurst? Das ist in jedem EU-Land anders geregelt. Fangen wir mit Österreich an: Dort gilt der Codex Alimentarius Austriacus, das österreichische Lebensmittelbuch.

In Österreich ist die Wiener Wurst keine Frankfurter, sondern eine Kochsalami. Das Wiener Würstchen hingegen ist dann die Frankfurter.

Die Frankfurter in Österreich muss aus 47 Teilen Rind- und/oder Schweinefleisch, 23 Teilen Speck und 30 Teilen Wasser bestehen.

Das Würstchen nach Frankfurter Art in Deutschland ist hingegen ein Schinkenwürstchen aus 100 % Schweinefleisch – die Wiener Würstchen in Deutschland hingegen enthalten auch Rind, entsprechen also den Frankfurtern in Österreich.

Du siehst: Die Begrifflichkeiten laufen in jedem Land auseinander.

Chancen für die Plant-based-Branche

Die Plant-based-/Meat-Alternatives-Hersteller bekommen also wahrscheinlich bei der Benennung Probleme. Aber man kann das auch als große Chance sehen:

Man kann sich komplett von Begriffen der Fleischbranche lösen – und stattdessen eigene Markennamen erschaffen, die international funktionieren.

Auch möglich: Sich innerhalb der Branche zusammentun und gemeinsame Benennungs- und Qualitäts-Standards definieren.

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Über den Autor

Stefan Golling, Köln. Seit 2011 unterstütze ich freiberuflich Unternehmen bzw. Agenturen mit kreativen Ideen, Konzepten und (textlichen) Umsetzungen rund ums (Online-)Marketing. Vorher: 1998 mit Radiowerbung in Stuttgart gestartet, 2000 als Junior-Werbetexter zu Publicis München, 2001 Counterpart Köln, 2002 als Copywriter zu Red Cell Düsseldorf (heißt heute Scholz & Friends), dort ab 2007 Creative Director.

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